PLANETENSTATUS: ES IST KOMPLIZIERT.
TEXT: Christina Rankel
BILD: Julia Schraft
KAMERA: Canon 60D
OBJEKTIV: 18 - 55mm 3.5-5.6
LOCATION: Südafrika




Der 24. August 2006 war ein Donnerstag.
Aber keiner von den guten Donnerstagen.
Eher einer von denen, die man erlebt und sofort wieder vergessen möchte. Aus dem Kalender streichen. Verbrennen. Löschen. Ein Donnerstag, wie ein Montag. Hauptsache überleben.

Als die Internationale Astronomische Union an eben diesem Donnerstag bei ihrer Generalversammlung in Prag beschloss, Pluto seinen Planetenstatus abzuerkennen, saß Pluto selbst gerade in einer schäbigen Spacebar irgendwo zwischen Neptun und Uranus.

Schon seit Stunden überlegte er, wie er bei dem heißen Himmelskörper an der Theke landen könnte. Nach einigem Hin und Her in seinem Kopf entschied er sich für den direkten Weg. Jetzt lehnte er sich lässig neben ihr über die Bar und stellte sich ihr einfach vor: Pluto. Planet und Vollzeit-Philanthrop. Er lächelt sein unwiderstehliches Lächeln. Sie lächelt zurück. Auf der Zielgeraden zu ihrem Herz oder ihrem Höschen (das würde er später entscheiden), stellt der Barkeeper plötzlich den Fernseher lauter.

Die Köpfe in der Bar drehen sich zu dem kleinen Fernseher über der Theke. Dort verkündet die Nachrichtensprecherin gerade mit ernster Miene das Unfassbare:

Eine Gruppe Wissenschaftler auf dem Planeten Erde hat Pluto soeben seinen Planetenstatus aberkannt. Fassungslos starrt Pluto auf den Fernseher. Der heiße Himmelskörper wirft ihm einen abschätzigen Blick zu.

Pluto schüttelt den Kopf. Was soll das heißen, kein Planet mehr? Was ist er denn dann? Ein Ball? Ein Niemand? Wie können ein paar Menschen, die nicht mal halb so groß sind wie er, darüber entscheiden, was er ist und was nicht? Wissen die nicht, wer er ist? Er, nach dem ein Zeichentrickhund benannt wurde. Nach dem Plutonium benannt wurde. Und ein Gletscher. Über ihn wurden Bücher geschrieben. So jemandem erkennt man nicht einfach den Planetenstatus ab. Wütend schlägt er auf die Theke. Was, wenn er ein paar Menschen einfach den Menschenstatus aberkennt? Der Barkeeper wirft ihm einen warnenden Blick zu. Er lacht bitter. Was soll ihm jetzt noch passieren? Rasend vor Wut schlägt er sein Glas an die Wand und zettelt eine Schlägerei an.
Als er wieder zu sich kommt, liegt er mit blutverschmierter Nase in einer dunklen Gasse irgendwo neben der Bar und starrt in den dunklen Sternenhimmel. Noch nie kam er ihm so unendlich groß vor. Und er sich so klein.

Die nächsten Tage und Wochen stürzt er sich ins Vergessen. Er trinkt. Er feiert. Er eskaliert. Der Verlust seines Planetenstatus stürzt ihn in eine tiefe Sinnkrise, gegen die alles hilft, was ihm dunkle Gestalten in noch dunkleren Ecken anbieten.

Nach einer Überdosis Sternenstaub wacht er schließlich in einem Krankenhausbett auf. Langsam kommt er zu sich. Sein Blick fällt auf die Zeitung auf seinem Nachttisch. Laut der Schlagzeile auf dem Titelblatt, hat er jetzt den Status eines Zwergplaneten. Verbittert dreht er den Kopf zur anderen Seite und schließt die Augen. Vom Planeten zum Niemand zum Zwergplaneten. Und jetzt? Lachen? Weinen? Eskalieren! Er will gerade aufstehen und seine Sachen zusammensuchen, da steht plötzlich eine Krankenschwester vor ihm. Sie schüttelt sanft aber bestimmt den Kopf. Hier eskaliert heute niemand. Widerwillig beugt er sich ihrem Willen und legt sich zurück ins Bett.

Ein paar Tage später darf er das Krankenhaus verlassen. Allerdings nur unter der Auflage, regelmäßig eine Selbsthilfegruppe zu besuchen. Und er hält sich daran. Noch heute sitzt er dort einmal in der Woche mit den anderen anonymen Zwergplaneten zusammen, die ihn nur unter der Kleinplanetennumer 134340 kennen.
Nach den Sitzungen sitzt er oft alleine unter dem Sternenhimmel und betrachtet die anderen Planeten. Die, deren Status nie in Frage gestellt wurde. Die sich nie überlegen mussten, was sie sind, wenn sie kein Planet mehr sind. Sein Blick streift dann durch den dunklen Himmel und verharrt traurig auf dem Planeten Erde. Manchmal betrachtet er sie stundenlang. Ohne zu ahnen, dass er in Illinois, wo er damals entdeckt wurde, noch immer als Planet gilt.




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